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32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Lugo ein heimlicher „chavista“?
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
07.08.08     A+ | a-
Schon Wochen vor seinem Amtsantritt hatte Lugo mehrfach die Teilnahme von Hugo Chávez hervor gehoben.
Dass er sich ganz besonders auf ihn freue und ihn gebeten habe, doch schon einen Tag früher anzureisen.
Was Chávez tat. Und auch noch einen Tag dran hängte, zusammen mit dem zweiten Verkünder des Anbruchs eines „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, dem Ecuadorianer Rafael Correa. Beide begleiteten Lugo auf seine Extratour nach San Pedro, seinem langjährigen Wirkungsort als Bischof.
Und so blühten wieder die Spekulationen darüber, ob Lugo doch dem Modell Chávez folgen bzw. auf eigene Weise einen wie auch immer gearteten modernen Sozialismus anstrebe. Chávez nährte diese Gedankenspiele:
„Lugo ist der neue christliche Revolutionär, und ich bin als Soldat gekommen, um seinen Anweisungen Folge zu leisten.
Er hat es bis zum Bischof gebracht, ich bin nur Messdiener gewesen ..“
Seinem „Freund“, dem spanischen König Juan Carlos, habe er erklärt, die USA und ihre Oligarchen müssten endlich begreifen, dass in Südamerika eine friedliche Revolution begonnen habe, die nicht mehr aufzuhalten sei.
Auch Ernesto Cardenal pflichtete bei:
“ Ich glaube, dass mit Lugo ein neues Land entsteht.

Ortega =  persona non grata

Einem der Präsidenten des Kontinents schlug von Seiten der paraguayischen Frauenrechtlerinnen allerdings ein solch scharfer Wind der Ablehnung entgegen, dass er freiwillig auf sein Erscheinen verzichtete:
Daniel Ortega, als Sandinistenführer lange Jahre Idol nicht nur in seinem Land, sondern bis hin zu uns in Europa, hat sich korrumpieren lassen und seiner Revolution des „Hombre Nuevo“, des neuen Menschen, den Rücken gekehrt.
 Dazu sagt der damalige sandinistische Kulturminister Ernesto Cardenal in Asunción:
„Mit Ortega und seiner Frau herrscht im heutigen Nicaragua die Korruption  -  allenfalls eine höchst demagogische Demokratie.  Ortega hat sich mit Arnoldo Aleman verbündet, einem der korruptesten Politiker, die wir je hatten. Daher darf sein Name nicht in einem Atemzug mit anderen aus unserem Lateinamerika genannt werden wie dem der bolivianischen Revolution mit Evo Morales, der kubanischen mit Fidel, der bolivarianischen mit Hugo Chávez und auch nicht mit dem Namen des neuen Paraguay unter Fernando Lugo.“
Aber den Frauen geht es vornehmlich um den harten Missbrauchsverdacht, dem sich Ortega ausgesetzt sieht.
Er habe jahrelang seine minderjährige Stieftochter missbraucht und stelle sich nicht seiner Schuld.
Die Frauen Paraguays sind stolz, mit Ortegas erzwungenem Nichterscheinen einen Sieg errungen zu haben, der ihnen wie ein Aufbruchssignal des neuen Paraguay erscheint.
Bei Rückkehr in sein Land strengte ein regierungshöriger Anwalt eine Klage gegen Cardenal an wegen Beleidigung, eine Strafe sollte folgen. Wer fühlt sich da beleidigt? Der ehemalige Revolutionsführer Daniel Ortega! Und wie? Durch  Cardenals harte Kritik an ihm und seiner Regierung, abgegeben in Paraguays Hauptstadt.

Lugos Erbschaft

Das Erbe, welches Lugo antritt, ist desolater kaum vorzustellen:
Eine durch und durch korrupte, ineffiziente und verschuldete Polizei, ein marodes Gesundheitswesen, Prädikat „Schlusslicht“ Südamerikas im Bereich Bildung, eine öffentliche Verwaltung, die einer faulen Bande gleicht, verheerende Wirtschaftszahlen und ein äußerst kompliziertes politisches Szenarium.
Dazu kommt eine Infrastruktur, für die schon diese Bezeichnung zu schade ist, so warten allein 3500 Brücken dringend auf Reparatur, jeden Tag bricht eine zusammen.
40 % des staatlichen Fahrzeugparks ist Schrott.
Die 20 Turbinen von Itaipú müssen baldmöglichst nicht nur jene gigantische Energie von 14.000 Megawatt generieren, sondern  -  über einen fairen Preis für Paraguays Anteil  -   im doppelten Sinn anständige Einnahmen,  die wirksame soziale Reformen ermöglichen.
Bisher glänzte Paraguay mit der niedrigsten Steuerrate des Kontinents, ganze 13% waren es   -   auf dem Papier.
Wenn da nicht erhöht und/oder auch wirklich gezahlt wird, hilft auch nicht Lugos Gehaltsverzicht ....
(Immerhin hat sich seit Lugos Amtsantritt der Saldo aus dem Straßenmaut verdreifacht, klassische Domäne von beamteten Straßenräubern, die in die eigene Tasche wirtschafteten. Hat da die neue Moral schon gegriffen, oder wirkt bereits die glaubwürdige Strafandrohung?)
Hoffnungsvoll stimmt es, dass immerhin Zweidrittel der Unternehmerschaft des Landes an eine gute bis sehr gute Amtsführung des neuen Präsidenten glaubt.
Wer hätte das vor einigen Monaten gedacht!

Asunción im Linksrausch


In den Tagen vor und nach dem 15. August meldete sich in Paraguays Medien eine ganz ungewohnte Schar von Persönlichkeiten zu Wort: Die schon erwähnten Altsozialisten Cardenal, Galeano, Boff und viele andere aus dem progressiven linken Spektrum Lateinamerikas absolvierten nicht nur zahlreiche Veranstaltungen, sondern verbreiteten sich in ausführlichen Interviews  -  fast wie inszeniert.
Und die Medien druckten, was die Walzen hergaben.
Welch ein frischer Wind, welch selten vernommene klare Worte, die alle überkommenen paraguayischen „Sprachregelungen“ souverän ignorierten!

Colorados in Katerstimmung

Und was machen die Colorados?
Die lecken ihre Wunden  -  oder schöner, a la Paraguay,
„sie fressen den Staub der Ebene“. Dass Lugo es in weniger als einem Jahr schaffte, „mit einer tollkühnen Gruppe von Männern und Frauen verschiedenster Herkunft eine Geschichte von 60 Jahren zu beenden“ (Original Lugo), hat den Colorados den Gnadenstoß verpasst.

An der Sojafront

Im Departamento Alto Paraná, Soja- und Weizengürtel des Landes, wird auf der Estancia „La Pastora“ die Ernte unter dem „Schutz“ scharf bewaffneter Söldner eingefahren.
Seit 40 Tagen unterhalten Campesinoorganisationen dort eine Blockade der Zufahrtswege, als Protest gegen den Landausverkauf an Brasilianer und den völlig aus dem Ruder gelaufenen Sojaanbau und seine gewaltigen Schäden für Menschen und Umwelt.
Paraguays Vize Franco findet diesen ungewöhnlichen Einsatz einer Privatarmee in Ordnung, er nennt die Arbeit dieser Erntehelfer „pathetisch“.  Das Foto der Gestalten mit ihren Knarren im Weizenfeld, auf dem Titelblatt der „Ultima Hora“, habe ihn sehr beeindruckt und ihn an diesen Ort geführt, um zu helfen, die Campesinoinvasionen zu beenden. Lugo wisse Bescheid.
Unser Partner, der 80jährige Martín Almada, findet die Sache weniger pathetisch, auch er begibt sich auf die Reise vor Ort, unterstützt den Protest mit anderen Umweltorganisationen, und er kritisiert vehement die Anwesenheit der illegalen Wachen und verlangt ihren sofortigen Abzug.
Er gründet eine „Koordinierungsstelle gegen den Sojaanbau“. Gern wären wir dabei gewesen.
Zur gleichen Zeit ist ein Filmteam von ARTE und WDR unterwegs im Norden, um für ihre Anstalten eine Dokumentation

Nicanor  -  armer Tor

Expräsident Nicanor versucht im dritten Anlauf, sich als „Aktiver Senator“ vereidigen zu lassen. Man tut ihm allerdings nicht den Gefallen, indem immer wieder gerade so viele Abgeordnete den Saal verlassen, dass dem Gelackmeierten das notwendige Quorum fehlt.
Unser Partner Sixto Pereira, Neu-Senator, hat Gefallen an diesem Spiel, leichter lässt sich Rache an alten Staatskriminellen nicht nehmen ....
Nicanors Kampf um sein politisches Überleben hat tragikkomische bis  perverse Züge, ein Lehrbeispiel, wie ein einstmals präpotenter, jetzt nur noch abgehalfteter Staatschef sein Land herunter wirtschaftet, dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden will und wird und sich bettelnd in die Immunität eines Senators zu flüchten sucht.
Pikante Fußnote: Einstige Speichellecker (die hier „chupamedias“, Sockenlutscher,  genannt werden  -   auch nicht schlecht) lassen ihren Meister hängen.
Jeden Tag kommen neue Skandale der Vorgängerregierung ans Licht. Das größte Übel aber ist die Tatsache, dass fast alle Institutionen leere Kassen hinterlassen haben, ja noch jede Menge Schulden angehäuft haben, vor allem das Motto beherzigend:
“ Rette sich wer kann und verlasse das sinkende Schiff mit allem, das nicht niet- und nagelfest ist.“
Jetzt hat Nicanor es  -  zumindest vorläufig  -  geschafft:
Ein Haufen von nur aus Colorados bestehenden Senatoren nimmt, angeführt vom ebenfalls colorierten Präsidenten des Hauses, dem Expräsidenten den Eid aufs Senatorenamt ab.
Ohne die dafür erforderliche Anzahl  -  also schlicht ungesetzlich  -  läuft dieses Schmierentheater ab, auch hier darf man „Schmieren“ in bekannter Weise deuten.
Am gleichen Tag tagen die Gegensenatoren und wählen ihren Favoriten für den zu besetzenden Senatsposten  -  und damit den vorher gewählten wieder ab.
Verfassungskrise! Staatskrise! Morgen sehen wir weiter.
Lugo deutet bereits die Möglichkeit einer Volksbefragung zu den Aufgaben des Seants an.
 
Geschichte im Zoo

Der Themenwechsel zum Zoologischen und Botanischen Garten liegt da gar nicht so fern:
Der „Botánico“ von Asunción hat zur Zeit Sicherheitsstufe 3, leicht gefährdet bis unbedenklich.
Ich entscheide mich für unbedenklich und entstaube wieder einmal mein Rad, um dort, in einigermaßen erträglicher Luft, meine Reifenspuren in den roten Sand zu graben.
In diesem traurigsten aller Zoos trifft man nicht nur ein paar mangelernährte und räudige Exemplare der subtropischen Fauna an (der nicht zur Familie gehörende Elefant hat es vorgezogen, das Zeitliche zu segnen), sondern man kann auch die Residenz des ersten paraguayischen Präsidenten Carlos Antonio López besichtigen, einschließlich tiefer Risse im Gemäuer, zerbrochener Türen, Löcher im Dach und Termiten im Gebälk.
Die nicht einmal katalogisierten Ausstellungsstücke und Dokumente befinden sich im Zustand galoppierenden Verfalls.
Schwülstig – patriotischer Stolz auf die Geschichte ist in Paraguay das Eine, der Umgang mit den Zeugnissen dieser Geschichte das Andere. Diese lässt man, sofern sie noch nicht geklaut sind, im ganzen Land vergammeln.
Während also die Akten in der Lópezresidenz verschimmeln, soll nun eine Bestandsaufnahme gemacht werden. Das wird dem Bestand gut tun.
Um in den Botanischen Garten zu gelangen, muss ich 4 km über die Avenida Artigas fahren, eine der Hauptverkehrsadern der Stadt, in der sich alle Übel des Großstadtverkehrs bündeln:
Es gibt die gefürchteten Schlaglöcher von Asunción, dafür aber keine einigermaßen gefahrlose Möglichkeit abzubiegen, Fußgänger, die wie Hasen gejagt werden (Übergänge für sie sind nicht nur nicht vorhanden, sondern einfach nicht vorgesehen!). Von irrem Verkehr, Lärm, Abgasen und rücksichtsloser Fahrerei ganz zu schweigen  -  die immer noch zockelnden Pferdekarren sind pittoreske, gleichwohl gefährliche, Beigabe.
Die Avenida Artigas erleben heißt Paraguay kennen lernen!
Zumindest das wilde, unzivilisierte, lebensverachtende Paraguay, wo das Recht des Mbareté, des starken Mannes, gilt.
Auch die politische Landschaft Paraguays war bislang ein getreues Abbild der Avenida Artigas.

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